Der Autor

Prof. Dr. Klaus Stolz ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Britische und Amerikanische Kultur- und Sozialwissenschaften an der TU Chemnitz.

Die inklusive Nation

Nationalismus und Separatismus in Schottland

Wenn in der öffentlichen Debatte von einer Renationalisierung der Politik die Rede ist, dann steht dies meist in Zusammenhang mit Befunden über das Erstarken rechtsnationaler, illiberaler, völkischer und anti-europäischer Strömungen. Der Blick auf den schottischen Nationalismus zeigt jedoch, dass die Idee der Nation unterschiedlich interpretiert werden kann und der Nationalismus dabei auch enge Verbindungen mit Bewegungen und Ideen der Demokratisierung und der internationalen Zusammenarbeit eingehen kann.


Schottland im Vereinigten Königreich

Schottland ist seit 1707 Teil des Vereinigten Königreichs von Großbritannien. Nach teils heftigen kriegerischen Auseinandersetzungen mit England im Mittelalter (die im Kinohit „Braveheart“ historisch inakkurat, jedoch sehr wirkungsmächtig dargestellt wurden) war diese freiwillige Vereinigung wirtschaftlichen (gemeinsamer Markt) und sicherheitspolitischen Überlegungen geschuldet. Der Einigungsvertrag garantierte Schottland eine spezifische Balance zwischen staatlicher Integration (Vereinigung der Parlamente) und gesellschaftlicher Autonomie, wie sie im Erhalt der drei zentralen Pfeiler schottischen Lebens, der Church of Scotland, des schottischen Rechtswesens und des schottischen Bildungssystems zum Ausdruck kommt (Harvie 1994, 3). Die Geschichte Schottlands innerhalb des Vereinigten Königreichs liest sich am besten als eine Geschichte permanenter Fortschreibungen, Anpassungen und Neuaushandlungen dieses historischen Kompromisses. Mit der Errichtung des schottischen Parlaments im Jahr 1999, dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum 2014 und schließlich dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU waren gerade die letzten 30 Jahre reich an verfassungspolitischen Debatten und Wendemarken. Aktuell ist die staatliche Einheit des UK in einer Weise gefährdet, wie sie es seit 1707 nie war. Über Jahrhunderte war die Integration des Vereinigten Königreiches ein äußerst erfolgreiches Projekt der Staatsbildung (mit Ausnahme von Irland und vereinzelter Jakobiteraufstände in Schottland). Dieses war aufs Engste verknüpft mit dem britischen Empire, das Schotten (und Walisern) einerseits Teilhabe am wirtschaftlichen und militärischen Erfolg der führenden Weltmacht gewährte und gleichzeitig den identitätsstiftenden Prozess des „Othering“ von innerbritischen Differenzen auf die Differenz zu den Kolonialgesellschaften verlagerte. Gepaart mit dem einigenden Band des Protestantismus und der Gegnerschaft mit den katholischen Mächten Kontinentaleuropas (inbesondere Frankreich) sieht die Historikerin Linda Colley (1992) hierin gar ein gesamtbritisches nation-building, welches die nationalen Identitäten der peripheren britischen Nationen überlagerte. So ist es dann zu erklären, dass trotz der Persistenz einer dezidiert schottischen Identität selbst in der…

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