Der Rezensent

Prof. Dr. Hans-Georg Ziebertz, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Bücher für den Politikunterricht - POLITIKUM 3/2024

Jan-Hendrik Herbst: Die politische Dimension des Religionsunterrichts. Religionspädagogische Reflexionen, interdisziplinäre Impulse und praktische Perspektiven. Brill/Schöningh: Paderborn 2022, 627 S.

Diese Dissertation verfolgt das allgemeine Ziel, „die mögliche Praxis eines politischen Religionsunterrichts in ihren Chancen und Hürden grundlegend zu durchdringen“ (S. 17). Als konkrete Fragestellung formuliert der Autor (ebd.): „Welche konzeptuellen Leitlinien und -vorstellungen, didaktischen Gründe und konkreten Praxis­orientierungen lassen sich für einen politischen Religionsunterricht auf der Höhe der Zeit anführen, wenn sowohl Probleme, Defizite und Aporien als auch die Potenziale und Perspektiven der politisch orientierten Konzeptionen der religionspädagogischen Reformdekade um 1968 im Spiegel der gegenwärtigen Debatte um eine neue politische Religionspädagogik angemessen beachtet werden?“ Damit sind eine Reihe konzeptueller Begriffe in den Ring geworfen, mit denen sich der Autor auf gut 500 Seiten mehr oder weniger systematisch auseinandersetzt. Leider gibt es keinen Begriffsindex. Die Arbeit ist in sechs Teile gegliedert: Grundlegung (A), aktuelle Debatten (B) und Konzeptionen in den 1960er/1970er Jahren um den politischen Religionsunterricht (C), interdisziplinäre Kontextualisierung der Fragestellung (D), didaktische Perspektiven (E) und Resümee (F). Im ersten Teil expliziert der Autor sein Erkenntnisinteresse und beschreibt das methodologische Gerüst. Ersteres benennt er als emanzipatorisch und zweiteres ist primär die Ideologiekritik. 

Damit knüpft er an der Kritischen Theorie und der kritischen Pädagogik der 1960er Jahre an, ebenso an der Politischen Theologie, wie sie v. a. J. B. Metz in derselben Zeit entfaltet hat. Dieser Rekurs geschieht kritisch und ist keineswegs eine naive Adaption damaliger Gedanken. Wird heute wieder über eine politische Dimension religiöser Bildung gesprochen, weil es die Zeitumstände nahelegen, oder handelt es sich dabei um eine Dimension der Theologie? Herbst analysiert schlüssig, und zwar über den Zusammenhang von Politischer Theorie und Politischer Theologie, dass der Kern der Theologie in der Evangeliumsgemäßen Transformation der Gesellschaft liege, weil die Hoffnung auf das Heil im Jenseits gläubige Menschen nicht gegenüber den herrschenden ‚unheilen‘ Verhältnissen immun machen dürfe. Insofern hat die politische Dimension eine direkte Verankerung in der Theologie und impliziert einen Auftrag an die Religionspädagogik. Die Bezeichnung „politisch“ verdient der Religionsunterricht, wenn er, abstrakt formuliert, einen Beitrag zur Kritik- und Reflexionsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler leistet sowie deren demokratische Partizipationsfähigkeit fördert (S. 9). Wie die Dissertation an verschiedenen Stellen zeigt, kann eine solche Definition sehr unterschiedlich gefüllt werden. Entweder fokussiert man pädagogisch auf die Entwicklung kritischer…

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