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Der Autor

Dr. Thomas Haury, Soziologe und Historiker, forscht seit dreißig Jahren zum Thema Antisemitismus und Anti­zionismus, insbesondere zum Antisemitismus innerhalb der Linken.

Schwierige Gemengelagen

Zur Unterscheidung von israelbezogenem Antisemitismus und nicht-antisemitischen Antizionismen in Geschichte und Gegenwart

Dass sich der Antisemitismus gegen „den Zionismus“ richtet, ist kein neues Phänomen, sondern so alt wie die zionistische Bewegung selbst. Gleichzeitig gab es von Beginn an verschiedene nicht-antisemitische Kritiken der zionistischen Bewegung und später Israels. Um diese Kritiken Israels fundiert auseinanderhalten zu können, braucht es einen tiefenschärferen Begriff von Antisemitismus.

Seit dem Massaker der Hamas und vier weiterer palästinensischer Gruppierungen am 7. Oktober 2023, der militärischen Antwort Israels sowie den weltweiten Aktionen, Demonstrationen und Diskussionen zu diesen Ereignissen ist das Thema „israelbezogener Antisemitismus“ so wichtig und drängend, aber auch so kontrovers und polarisierend geworden wie noch nie. Während in manchen Ländern Hunderttausende mit Parolen wie „Stop the genocide“ gegen den „siedlerkolonialistischen“ Staat Israel auf die Straße gehen und einen umfassenden Boykott Israels durchsetzen wollen, sehen andere hierin durchgängig ein neues, nunmehr gegen den jüdischen Staat gerichtetes Aufflammen des Antisemitismus. Während die eine Seite mitunter schnell den zu pauschalen Vorwurf des Antisemitismus erhebt, wird dies von den Beschuldigten als bloße Diffamierung jeglicher „Israelkritik“ zurückgewiesen. Doch weder das Thema der Debatte noch die Art und Weise, wie sie zumeist geführt wird, sind neu. Alle größeren Antisemitismus-Debatten, die in den letzten 15 Jahren in Deutschland die Politik und die (mediale) Öffentlichkeit beschäftigten, kreisten um Israel bzw. „Israel-Kritik“ und wiesen das gleiche polarisierte Muster auf. Die Beispiele dafür sind zahlreich: die Diskussionen über die „Gaza-Friedensflotte“ 2010, über Antisemitismus in der Partei „Die Linke“ 2011, das Israel-Gedicht von Günter Grass und die Kolumnen von Jakob Augstein 2012, den BDS-Beschluss des Bundestags 2019, über Achille Mbembe 2020, die documenta fifteen 2022 u. v. m. Diese heftigen politischen Auseinandersetzungen haben auch auf die Antisemitismusforschung gewirkt. 

Hier wird derzeit über die Frage debattiert und gestritten, wie „israelbezogener Antisemitismus“ erkannt und von einer „normalen“ Kritik Israels unterschieden werden könne. Während einige Forschende hierzu die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) verfechten, kritisieren andere diese als zu pauschal und daher politisch leicht instrumentalisierbar. Sie legten mit der Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) eine alternative, vorsichtigere Antisemitismusdefinition vor, der die Verfechter der IRHA-Definition wiederum vorwerfen, damit würde dem Antisemitismus gegen Israel Vorschub geleistet (siehe hierzu auch den Beitrag von Armin Pfahl-Traughber). Doch auch die internationale wissenschaftliche Debatte um einen…

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