Im Interview

Kai-Uwe Schrogl ist verantwortlich für die politischen Beziehungen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Paris und Honorarprofessor für internationale Technologiepolitik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.

Interview: Hans-Jürgen Bieling

Interview mit Kai-Uwe Schrogl: Galileo & Co

POLITIKUM: Zuletzt wird vermehrt über globale Infrastrukturen gesprochen. Nach Chinas „Neuer Seidenstraße“ und dem US-Programm „Build Back Better World“ (B3W) folgt die EU mit der „Global Gateway“-Initiative. Gibt es eine Aufwertung oder Neugewichtung von Infrastrukturpolitik in der EU? Falls ja, wie drückt sich diese aus?

Kai-Uwe Schrogl: Infrastrukturen sind in den letzten Jahren tatsächlich ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Das gilt für nationale ebenso wie für europaweite Infrastrukturen. Gemeinschaftliche Infrastrukturpolitik ist allerdings keine Neuheit. Bereits im Vertrag von Maastricht von 1992 sind „Transeuropäische Netze“ als Politikfeld der damals noch Europäischen Gemeinschaften aufgeführt. Das ist jetzt 30 Jahre her. Seitdem hat sich vieles getan, nicht nur die thematische Ausweitung über die ursprünglich definierten Verkehrs- und Energienetze hinaus, sondern auch die Erkenntnis, dass zahlreiche Infrastrukturen „kritisch“ sind, das heißt essentiell für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft. Schließlich wurde auch anerkannt, dass die Globalisierung die weltweite Vernetzung von Infrastrukturen sprunghaft verstärkt hat, beziehungsweise dadurch erst ihre Effekte entwickeln konnte. Europa hat, fast mehr noch gemeinschaftlich als mitgliedstaatlich, diese Tendenzen gefördert und gesteuert.

POLITIKUM: Was sind die zentralen Ursachen der Aufwertung von Infrastrukturpolitik? Sind es eher die Krisen- und Desintegrationsprozesse seit der Finanzkrise oder globale Entwicklungen, die der Infrastrukturpolitik einen neuen Schwung gegeben haben? 

Kai-Uwe Schrogl: Es ist ein langfristiger Trend, der mit der wirtschaftlichen Integration Europas einhergeht. Dieser Trend wird allerdings, wie Sie andeuten, durch Krisen erheblich beschleunigt. Nehmen wie neben den von Ihnen genannten Krisen die Klimakrise und hier konkret die vermehrt auftretenden Naturkatastrophen. Diese zeigen sich im Süden Europas in fürchterlichen Waldbränden, die insbesondere die Tierwelt und die Vegetation betreffen. In Deutschland hat es schon einige Weckrufe in Form von Stürmen und jüngst wieder durch Überflutungen mit einer wachsenden Zahl von Toten gegeben. Jedes Mal wurde im Nachgang die Frage gestellt: Haben wir ausreichende Infrastrukturen zur Vorhersage und zum Management von Naturkatastrophen? Jedes Mal ist die Antwort „Nein“, und nachdem sich die erste politische Hektik gelegt hat, schläft der Impuls, in Infrastrukturen zu investieren – insbesondere wenn es um Vorsorge geht – wieder ein. Der Fall der fehlenden Infrastrukturen für das Naturkatastrophenmanagement kann mit der „Friedensdividende“ verglichen werden, wo die Infrastrukturen zur Landesverteidigung erheblich heruntergefahren wurden und die Gesellschaft sich inzwischen fragt, ob das vor dem Hintergrund von klassischen militärischen Invasionen am östlichen Rand von Europa nicht wieder korrigiert werden…

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