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Der Autor

Dr. Anno Dederichs ist Associate Professor an der Foreign Language School der Sun Yat-sen University in Guangzhou, China.

Ein Chamäleon im Auge des Betrachters

China in den deutschen Medien

Das deutsche Chinabild oszilliert zwischen den Polen Chance und Bedrohung. Das liegt nur zum Teil an China selbst und sagt mindestens ebenso viel über die Verschiebung politischer Interessen und die deutsche Eigenwahrnehmung aus. Das Bedrohungsszenario aber führt zu einer Wahrnehmungsverzerrung Chinas, die Fehleinschätzungen bedingen kann. Zeit für einen unvoreingenommenen Blick.

„Was wir [...] über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, sagte Niklas Luhmann (1996, 9). Das gilt auch für das weit entfernte sowie sprachlich und kulturell den Deutschen unvertraute China. Chinas Geschichte und Politik gehören in der Praxis eher selten zum Curriculum deutscher Schulen und der zivilgesellschaftliche Austausch zwischen Deutschland und China hat durch die Beschränkung der Corona-Pandemie stark gelitten. Daher ist das deutsche Chinabild wesentlich geprägt durch die mediale Berichterstattung, deren Verlauf hier überwiegend anhand der Analyse des Wochen- und Onlinemagazins Der Spiegel von 1947 bis heute nachvollzogen wird (Dederichs 2022). In multiplen Gesellschaften finden sich in der Regel neben dominanten Diskursen auch weniger dominante Konzeptualisierungen, auch der deutsche Chinadiskurs ist „multivokal“, hat aber in gegebenen historischen Zeitabschnitten recht eindeutige Ausrichtungen.

Das Chinabild pendelt seit Langem zwischen den Polen Chance und Bedrohung. Doch in den letzten Jahren wird das Verhältnis zu China zunehmend aus der Perspektive infrastruktureller und geopolitischer Konkurrenz sowie systemischer Rivalität betrachtet. Die Frage danach, wie globale Transformationsprozesse vor dem Hintergrund des Wandels der hegemonialen internationalen Ordnung hin zu einer multipolaren Ordnung verlaufen können, wird dadurch in antagonistische Bahnen und Begriffe geleitet. Dennoch hat vor allem das exportorientierte Deutschland ein großes Interesse an den lukrativen wirtschaftlichen Beziehungen mit China. Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei den Menschheitsaufgaben (Klimaschutz, atomare Abrüstung) scheinen in den letzten Jahren hingegen keine maßgebliche Rolle zu spielen.

Wendepunkte

Bereits mit dem Pivot to East Asia unter der US-Regierung Barack Obamas wurde ab 2012 Chinas Aufstieg als Bedrohung für die amerikanischen Interessen im Pazifik identifiziert, zu einer Zeit also, als unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel das deutsch-chinesische Verhältnis recht unbelastet war. Dieser Kurswechsel der USA fiel mit dem Beginn der Präsidentschaft Xi Jinpings zusammen. Dessen Re-Zentralisierung des Machtapparates und Re-Ideologisierung der chinesischen Politik wird von westlichen Beobachtern seither mit Sorge betrachtet. Die Spannungen verstärkten sich durch den von Donald Trumps Regierung 2017 eingeleiteten „Wirtschaftskrieg“ gegen China. In der durch…

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