„Der ewige Antisemitismus“
Antisemitismus wird in der Forschung als tief in der christlichen Kultur verwurzelt und eng verbunden mit Verschwörungsglauben und anderen Ressentiments betrachtet, was seine Anpassungsfähigkeit und sein Fortbestehen bis heute erklärt. Das 20. Jahrhundert brachte neue Varianten hervor. Zur Bekämpfung bedarf es starker solidarischer Allianzen in der Gesellschaft wie auch zwischen Staat und Gesellschaft.
Wenn man wirklich davon ausgeht, dass Antisemitismus immer und ewig vorhanden und nicht wandelbar ist, dann machen auch Überlegungen zu seiner Bekämpfung wenig Sinn. In der wissenschaftlichen Forschung hat sich in den vergangenen Jahren ein sehr nuanciertes Bild durchgesetzt. Dort betont man einerseits seine tiefe Verankerung in der christlichen Tradition und Kultur (s. den Beitrag von Han in diesem Heft), die auch den maßgeblichen Unterschied zum Rassismus markiert (s. Beitrag von Pfahl-Traughber), und andererseits die hohe Anschluss- und Verknüpfungsfähigkeit des antisemitischen Denkens mit anderen Ressentiments und Verschwörungsglauben. Diese erklären sein vielfältiges Überleben und seine Anpassungsfähigkeit in der Moderne, bis auf den heutigen Tag. Um 2000 Jahre in wenigen Sätzen zusammenzufassen: Es ist die enge Verknüpfung „der Juden“ mit dem Anti-Christen bzw. dem Bösen, aber auch Mächtigen schlechthin, die es ermöglichte, in immer neuen Varianten die Juden zum Kern des „Anderen“, des Bedrohlichen zu machen, der sogenannte traditionelle oder klassische Antisemitismus. Dies galt für das Zeitalter der Aufklärung im 18. ebenso wie für den Nationalismus des 19. Jahrhunderts. Das 20. Jahrhundert hat dem strenggenommen „nur“ zwei neue Varianten hinzugefügt. Denn wie wir heute wissen, hat der Massenmord an den europäischen Juden nichts, aber auch gar nichts an der Struktur und der ungeheuren Attraktivität des antisemitischen Denkens geändert.
Bundestagsresolution
Der Bundestag hat im November 2024 einen Antrag zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland verabschiedet. Damit soll z. B. bei der Förderung bestimmter Projekte die sog. IHRA-Definition maßgeblich herangezogen werden. Dies wie auch die Definition selbst wird in Wissenschaft, Kultur und Teilen der Politik allerdings kontrovers diskutiert. Bereits zu Beginn der Debatte wurde von zahlreichen Wissenschaftler:innen aus Deutschland und Israel darauf hingewiesen, dass die IHRA-Definition unbestimmt und damit „missbrauchsanfällig“ sei: Der Antisemitismus-Vorwurf eigne sich „in hervorragender Weise, um politische Gegner zum Schweigen zu bringen und zu diffamieren“. |
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