Dr. Tobias Haas ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz Zentrum Potsdam (RIFS) im Projekt „Carbon Dioxide Removal – Synthesis and Transfer (CDRSynTra)“.

Der European Green Deal zwischen sozial-ökologischer Transformation und ökologischer Modernisierung

Im November 2019 stellte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, den European Green Deal (EGD) vor. Sie verglich den Ansatz mit nicht weniger als der Mondlandung. In der Tat handelt es sich beim EGD um ein ambitioniertes Vorhaben, das die europäische Politik auf ökologische Nachhaltigkeitsziele hin ausrichten soll, zugleich aber großes gesellschaftliches Konfliktpotenzial in sich birgt. 

Der EGD stellt eine deutliche Aufwertung der Umweltpolitik in der EU dar. Ob die Analogie zur Mondlandung zutreffend ist, wird die Zukunft zeigen. Interessant ist jedoch, dass mit dem EGD semantisch Bezug genommen wird auf den New Deal der USA in den 1930er Jahren. Der New Deal (ND), der von der US-amerikanischen Regierung unter Franklin Delano Roosevelt konzipiert wurde, war die Antwort auf die Krisen und gesellschaftlichen Erschütterungen in Folge der großen Weltwirtschaftskrise von 1929, die an der Wall Street ihren Anfang genommen hatte. Mit dem ND waren starke gesellschaftliche Konflikte verbunden, denn die umfassenden öffentlichen Investitionsprogramme und die Umverteilung von Einkommen und Vermögen musste gegen weite Teile der Privilegierten durchgesetzt werden. Die Auslassung des „New“ stellt eine gewisse Abgrenzung vom historischen ND dar, gleichzeitig zeigt die Einfügung von „green“ an, dass der EGD (im Gegensatz zum ND) stark an ökologischen Problemlagen ausgerichtet ist. Diesen soll im Rahmen des EGD vor allem über neue Technologien und ökonomische Anreize begegnet werden. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, etwa massive Ungleichheiten und das ungebremste Streben nach Wirtschaftswachstum, werden im EGD nicht kritisch hinterfragt. Vielmehr reiht er sich ein in die Tradition ökologischer Modernisierung, Nachhaltigkeitsziele sollen nicht durch eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erreicht werden, sondern durch technologische Modernisierung. Gleichwohl sollen – und das ist eine weitere Gemeinsamkeit mit dem historischen ND – zahlreiche Krisen zugleich adressiert werden (Haas/Jürgens 2021).

Multiple Krisen
Der Ende 2019 vorgestellte EGD soll auf zumindest vier Krisendynamiken eine Antwort geben. Erstens hat in den 2010er Jahren eine deutliche Zuspitzung von ökologischen Problemlagen stattgefunden. Am deutlichsten zeigt sich dies mit dem weiteren Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen. Und im Gegensatz zu den 2000er Jahren, als die Klimaerwärmung von dem Großteil der europäischen Bevölkerung noch als etwas fernes, in der Zukunft liegendes wahrgenommen wurde, sind die Auswirkungen der Erderwärmung mittlerweile deutlich erfahrbar. Stürme, Sturzfluten, extreme Trockenheit, die Zunahme von Waldbränden – dies sind Alltagerfahrungen, die die Lebensführung der Menschen beeinflussen. Die Zuspitzung der Klimakrise und die jedenfalls in globaler Hinsicht vollkommen unzureichenden Maßnahmen, um die Erwärmung einzudämmen, haben zu einer starken…

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