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Der Autor

Dr. Daniel Fuchs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zu Arbeits­beziehungen, Industrie- und Technologiepolitik in China sowie zu Chinas Rolle in der internationalen Normung.

Chinas Aufstieg zur Normungsweltmacht

Technologiestandards als Schauplatz geopolitischer Rivalität

Chinas Einfluss auf die internationale Normung von digitalen Technologien hat rasant zugenommen. Wie kann der Aufstieg des Landes zur Normungsweltmacht erklärt werden? Und wie reagieren führende Akteure im Globalen Norden darauf?


Technische Standards, von Ladetechnologien für E-Autos bis hin zur Netzarchitektur der 5G-Mobilfunktechnologie, werden zunehmend von Unternehmen aus der Volksrepublik China entwickelt. Dieser wachsende Einfluss Chinas in der internationalen Normung hat den globalen Wettbewerb um Technologiestandards intensiviert. Denn die Aushandlung von Normen ist von Profitinteressen und geopolitischem Kalkül bestimmt: Wer die Standards für neue Technologien setzt, lenkt und kontrolliert die Entwicklung der entsprechenden Märkte.

Technische Standards als Machtressource

Technische Standards bzw. Normen sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Indem sie Anforderungen für Produkte, Dienstleistungen und Verfahren festlegen, dienen sie dem Ziel der Interoperabilität und Qualitätssicherung. International harmonisierte Standards ermöglichen es, Produkte und Technologien über Hersteller- und Ländergrenzen hinweg zu verbreiten und anzuwenden. Sie sind daher eine wesentliche Grundlage für transnationales wirtschaftliches Handeln und ökonomische Globalisierungsprozesse.

Ausverhandelt und festgelegt werden formale Standards in so genannten Normungsorganisationen (standards developing organization, SDO). Auf internationaler Ebene nehmen hierbei die 1947 gegründete Internationale Organisation für Normung (ISO) sowie die bereits 1906 etablierte Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) eine Führungsrolle ein. Daneben existiert eine Vielzahl an jüngeren Organisationen, wie etwa das in den 1990er Jahren gegründete und auf Mobilfunkstandards fokussierte 3rd Generation Partnership Project (3GPP). Gemein haben Normungsorganisationen, dass es sich in der Regel um nicht-staatliche Institutionen handelt, in ­denen vorwiegend Unternehmensvertreter:innen über die Normenentwicklung und -setzung entscheiden. Der Prozess der Normung ist demnach eine Form der „transnational private governance“ (Graz/Nölke 2007) – eine von privaten Akteuren dominierte ­Regulation der Weltwirtschaft.

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive stellen technische Normen eine bedeutende ökonomische und politische Machtressource dar, sowohl für Unternehmen als auch in zwischenstaatlichen Beziehungen. Rühlig (2022) hat hierfür den Begriff der „technischen Standardisierungsmacht“ geprägt. Diese umfasst ihm zufolge vier Dimensionen: In wirtschaftlicher Hinsicht relevant ist unter anderem, dass zahlreiche Standards auf patentierten Technologien basieren, für deren Nutzung Lizenz­gebühren zu entrichten sind. Insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie kann dies eine bedeutende Einnahmequelle für Unternehmen darstellen. Marktteilnehmern, denen es nicht gelingt, ihre eigene Technologie als (internationale) Norm zu verankern, sind zudem mit Lock-In-Effekten und hohen Anpassungskosten konfrontiert. Umgekehrt stärkt eine erfolgreiche Normensetzung die Position von Unternehmen in globalen Wertschöpfungsketten.

Die rechtliche Machtdimension von technischen Standards beruht darauf, dass sie im Rahmen von WTO-Regelungen zum Gegenstand handelsrechtlicher Auseinandersetzungen werden oder ihre verbindliche Übernahme in nationalstaatlichen Regulierungen festgeschrieben werden kann. Eine Quelle (sicherheits-)politischer Macht sind technische Standards, da sie die Grundlage für die Etablierung und Instandhaltung von (kritischer) Infrastruktur darstellen. Schließlich ist Normung auch eine Quelle diskursiver Macht: Erfolgreiche Normensetzung stärkt die Reputation der jeweiligen Unternehmen und Staaten. Mit der Festlegung auf technische Standards können die in Technologien stets eingeschriebenen Werte auf Dauer gestellt werden. Aufgrund dieser Rolle als Machtressource ist die Ausverhandlung von Normen durch ökonomische und geopolitische Konkurrenz geprägt.

Die marginalisierte Rolle des Globalen Südens

Institutionen wie die ISO oder IEC vertreten zwar den Anspruch der „Offenheit“ und „Inklusivität“ (Yates/Murphy 2019). Tatsächlich jedoch ist das internatio­nale Normungswesen seit jeher von der Dominanz des Globalen Nordens geprägt. Die vorherrschende Praxis der internationalen Normung trägt zu einer Verstetigung globaler Ungleichheits- und Abhängigkeitsverhältnisse bei. So wird die Entwicklung von Technologiestandards dazu genutzt, „die Autorität des Zentrums über die Peripherie auszudehnen und zu konsolidieren“ (Wood 2012, 83). Exemplarisch erläutern lässt sich die marginalisierte Rolle des Globalen Südens mit Blick auf die ISO. Die in Genf ansässige Organisation operiert auf Basis eines nationalen Delegationsprinzips: Je eine Normungsorganisation pro Staat ist Mitglied. Deren Aufgabe ist es, nationale Interessen zu koordinieren und zu repräsentieren.

Hierfür entsenden sie Experten in die Gremien der ISO – in erster Linie Vertreter von Industrieunternehmen. Aktuell sind 172 nationale Normungsorganisationen Mitglied der ISO. Von einer gleichwertigen Repräsentation kann jedoch keine Rede sein. Die strategischen Führungsgremien sowie die technischen Kommittees (TC), in denen die konkrete Normungsarbeit stattfindet, werden von Akteuren aus reichen Industriestaaten dominiert. Europäische und deutsche Unternehmen verfügen über einen besonders großen Einfluss im internationalen Normungswesen. Dies beruht nicht allein auf dem technologischen Entwicklungsniveau, technischer Expertise oder finanziellen Ressourcen. Bedeutend ist zudem die enge Verzahnung und „insti­tutionelle Komplementarität“ (Büthe/Mattli 2011) der gleichermaßen zentralisiert und hierarchisch organisierten Normungsorganisationen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene.

US-amerikanische Unternehmen nehmen ebenfalls eine Führungsrolle ein. Im Vergleich zu Europa ist das Standardisierungswesen in den USA jedoch stark fragmentiert. Dies erschwert die Koordination nationaler Industrieinteressen und deren Übersetzung auf die internationale Ebene. Die grundlegenden Kräfteverhältnisse in der internationalen Normung haben sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte kaum verändert. Gerade vor diesem Hintergrund ist der Einflussgewinn Chinas eine höchst bemerkenswerte Entwicklung mit weitreichenden Folgen.

Lernprozesse auf dem Weg zur Normungsweltmacht

2015 verkündete die chinesische Zentralregierung das Ziel, zu einer „Normungsweltmacht“ zu werden. Diese Zielsetzung ist eng mit den industriepolitischen Schwerpunkten der Staats- und Parteiführung unter Xi Jinping verknüpft. Davon zeugt die im selben Jahr erfolgte Veröffentlichung der Strategiepapiere „Made in China 2025“ und „Internet Plus“. Sie markieren eine neue Phase in den chinesischen Bemühungen, das exportorientierte und arbeitsintensive Wachstumsmodell durch eine innovationsgetriebene Wirtschaft mit hoher Wertschöpfung und Fokus auf Hochtechnologie zu ersetzen.

Erreicht werden soll eine globale Vormachtstellung in digitalen Schlüsseltechnolo­gien wie künstlicher Intelligenz oder dem Internet der Dinge – sowie die damit verbundene Erschließung globaler Märkte. Hierfür erscheint die Übernahme einer Führungsrolle in der internationalen Normung als wesentlich. Spätestens seit Beginn der 2000er Jahre machten Chinas Eliten die Erfahrung, dass der Weg vom standard-taker zum standard-maker ein steiniger ist. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der gescheiterte Versuch, einen in China entwickelten WLAN-Standard (WLAN Authentication and Privacy Infrastructure, WAPI) auf internationaler Ebene zu verankern und damit Wi-Fi als globalen WLAN-Standard zu verdrängen. Trotz mehrmaliger Anläufe in den Jahren 2004 und 2009 konnten sich chinesische Vertreter in ISO und IEC nicht gegen eine Allianz globaler Tech-­Unternehmen durchsetzen.

Derartige Erfahrungen des Scheiterns in der internationalen Normung haben wichtige Lernprozesse befördert. Sie trugen dazu bei, dass der Parteistaat die Reform des chinesischen Standardisierungswesens in den letzten zehn Jahren vorantrieb. Der Standardisierungsansatz in der VR China ist durch staatliche Steuerung charakterisiert. An der Spitze der nationalen Normung steht die staatliche „Standardization Administration of China“ (SAC), welche die Standardisierungsarbeit auf nationaler und internationaler Ebene koordiniert. Auch das Ministerium für Industrie und Informationstechnik spielt eine zentrale Rolle im chinesischen Normungssystem (Weithmann 2017). Jüngere Reformen seit 2014 legen den Schwerpunkt allerdings eher auf eine Stärkung der Rolle des Marktes. Dies gipfelte im chinesischen Normungsgesetz von 2018, das den Anteil der von staatlichen Institutionen entwickelten und verbindlichen Normen reduzierte und stattdessen die Standardisierung über Industrieverbände stärkte.

Die im Oktober 2021 veröffentlichte nationale Standardisierungsstrategie betont zudem die Notwendigkeit einer weiteren Ausweitung der Rolle des Privatsektors. Dies zielt darauf ab, die für erfolgreiche Normensetzung notwendige Expertise möglichst breitenwirksam zu stärken. Zudem soll die Standardisierung in China damit kompatibler mit den privatwirtschaftlich dominierten Ansätzen in der internationalen Normung gemacht werden (ZK der KPCh/Staatsrat der Volks­republik China 2021). Ein Ende der staatlichen Kontrolle über das chinesische Standardisierungsystem bedeutet dies jedoch keineswegs. Der Parteistaat koordiniert weiterhin wesentliche Aspekte der Standardisierungsarbeit. Staatliche Institutionen stellen erhebliche materielle Ressourcen für den gezielten Aufbau technischer Expertise im Bereich der Normung bereit. Unternehmen und Forschungseinrichtungen erhalten direkte finanzielle Anreize für die Entwicklung von Standards. Vereinfachte Zertifizierungs- und Zulassungsverfahren zielen darauf ab, dass Innovationen in Kerntechnologien frühzeitig in den Standardisierungsprozess eingebracht werden. Zudem fördert die Partei- und Staatsführung gezielt den Aufbau so genannter natio­naler Champions, die den Einfluss der chinesischen Standards auf internationaler Ebene erhöhen sollen (Rühlig 2022).

Eine Doppelstrategie in der internationalen Normung

International verfolgt China auf dem Weg zur Normungsweltmacht eine Doppelstrategie (Fuchs/Eaton 2024). Einerseits sind chinesische Akteure bestrebt, ihren Einfluss in den bestehenden internationalen Normungsorganisationen weiter auszubauen. Andererseits versucht der Parteistaat, Standards chinesischer Unternehmen auch abseits davon international zu verankern – insbesondere im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI). Das Engagement chinesischer Unternehmen in Organisationen wie ISO, IEC oder 3GPP wird von der Staatsführung nicht nur durch finanzielle Unterstützung, sondern auch über quantitative Zielvorgaben für die Einreichung von Normungsvorschlägen gefördert.

Gezielt wird zudem versucht, chinesische Experten in Leitungsgremien zu entsenden. Explizit geht es darum, sich die formellen und informellen Spielregeln in internationalen Normungsorganisatio­nen anzueignen. So setzt China strategisch auf den Austausch mit einflussreichen Staaten des Globalen Nordens. Ein Beispiel hierfür ist die seit 2015 bestehende, deutsch-chinesische Kooperation bei der Entwicklung technischer Standards im Bereich Industrie 4.0 (Fuchs/Eaton 2022). Trotz beschriebener Hürden ist das staatlich geförderte und koordinierte Engagement chinesischer Unternehmen bislang bemerkenswert erfolgreich. Zum einen gelang es, chinesische Vetreter an die Spitze internationaler Normungsorganisationen zu setzen. So stellte China von 2015 bis 2018 erstmals den Präsidenten der ISO, und von 2020 bis 2022 den Präsidenten der IEC. Abzulesen ist der Einflussgewinn auch an der Beteiligung chinesischer Experten an der konkreten Normungsarbeit in den technischen Kommittees (TC). Die Anzahl der von China in der ISO und IEC geleiteten TC-Sekretariate wuchs rasant, wiewohl China hier weiterhin hinter den mächtigsten Staaten des Globalen Nordens liegt (siehe Abbildung 1).

Das Beispiel der Standardisierung im Bereich 5G und 6G verdeutlicht zudem, dass es chinesischen Telekommunikationsunternehmen gelungen ist, die Vormachtstellung von Konzernen aus dem Globalen Norden infrage zu stellen. Huawei etwa ist das Unternehmen mit den meisten 5G-Standardbeiträgen bei 3GPP, noch vor europäischen und US-amerikanischen Unternehmen wie Ericsson oder Qualcomm. Auch im Bereich der 6G-Patentanträge rangiert es im globalen Spitzenfeld. Neben dem intensivierten Engagement in internationalen Normungsorganisationen versucht China in den vergangenen Jahren verstärkt, eigene nationale Standards in anderen Staaten des Globalen Südens zu verankern. Diese Strategie beschreibt das Schlagwort „Chinese standards going global“ (Zhongguo biaozhun zou chu qu). Mit zwei „Aktionsplänen“ in den Jahren 2015 und 2017 wurde die Übernahme chinesischer Standards entlang der „Neuen Seidenstraße“ gefördert.

Der Parteistaat setzt dabei in erster Linie auf bilaterale Kooperationsabkommen mit – Stand heute – mehreren Dutzend Partnerstaaten. Diese fokussieren sich auf die Anerkennung von Standards in spezifischen Sektoren und für bestimmte Infrastrukturprojekte, etwa Standards für Ölpipelines in Kirgistan. Einige multilaterale Initiativen sollen den Austausch von Standardisierungsexpertise vorantreiben und die Harmonisierung von Standards fördern. So wurde in China eine ganze Reihe von Ausbildungszentren eröffnet. Nach Angaben des SAC erhielten allein bis 2021 mehr als 800 Experten aus 90 Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas Schulungen im Bereich der Normung.

Darüber hinaus signalisierte der chinesische Parteistaat in den vergangenen Jahren die Absicht, eine eigene Standardisierungsorganisation zu etablieren, ein so genanntes „BRI Regional Standards Forum“. Es soll unter chinesischer Leitung die Etablierung regionaler Standards für die BRI vorantreiben. In offiziellen Dokumenten werden diese Pläne zwar nicht erwähnt. Doch bereits die informelle Ankün­digung sorgte bei Akteuren in Europa für Aufregung. Unstrittig ist zum einen, dass es China bis dato ­gelang, auf nationaler Ebene entwickelte Standards im Rahmen der BRI zu internationalisieren. Zum ­anderen jedoch sind Staaten entlang der „Neuen Seidenstraße“ nicht immer dazu bereit, Standards chinesischer Unternehmen zu übernehmen. Zu groß ist die Sorge vor Lock-In-Effekten und der einseitigen Abhängigkeit von chinesischen Technologien. Die Ausweitung von Chinas Standardisierungsmacht verläuft daher keineswegs friktionsfrei.

Einhegungsversuche im Globalen Norden

Die Infragestellung der Vorherrschaft von US-amerikanischen und europäischen Akteuren in der internationalen Normung gab Anlass zu einer ganzen Reihe gegen China gerichteter Vorwürfe: Der staatszentrierte Standardisierungsansatz unterminiere, so ein häufig wiederholtes Argument, die von privaten Unternehmensinteressen dominierte Standardisierung in der EU und den USA. Die finanzielle Unterstützung und Koordination durch den Staat schaffe ­einen asymmetrischen Wettbewerb und widerspreche ­„europäischen Werten“. Oder auch: Chinas Einfluss auf die Normung von digitalen Zukunftstechnologien berge sicherheitspolitische Gefahren. Diese Vorwürfe bilden den diskursiven Rahmen für konkrete Bestrebungen, Chinas neue Rolle als globaler standard maker einzuhegen.

Die US-amerikanische Regierung bemüht sich in führender Rolle um eine internationale Allianz sogenannter gleichgesinnter Partner, um Chinas wachsender Normungsmacht entgegenzuwirken. Ein Beispiel hierfür ist der 2021 gemeinsam mit der Europäischen Kommission gegründete „US-EU Trade and Technology Council“. Prominent widmet sich dieser transatlantischen Ansätzen für die Standardisierung digitaler Technologien. Es ist jedoch fraglich, ob derlei Bemühungen zur Einhegung Chinas erfolgversprechend sind. Zweifel sind vor allem deshalb angebracht, weil zwischen europäischen und US-amerikanischen Standardi­sierungsexperten bemerkenswerte Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Umgangs mit China bestehen (Eaton u. a. 2022). Europäische Normungsexperten begrüßen zwar die gewachsene staatliche Aufmerksamkeit für Chinas Verhalten im Bereich der internationalen Standardisierung. Nicht zuletzt erhofft man sich dadurch eine verstärkte finanzielle Unterstützung für Normungsaktivitäten. Allerdings befürchten Unternehmen und Vertreter von Normungsinstitutionen in Europa, dass gegen China gerichtete Initiativen zu einer Fragmentierung des internationalen Normungswesens führen könnten.

Viele europäische Akteure argumentieren daher für eine kontrollierte, dennoch aber verstärkte Integration Chinas in bestehende internationale ­Normungsorganisationen. Dies beruht auf strukturellen Faktoren: Ziel ist es, die Interessen jener Exportunternehmen zu sichern, die besonders vom chinesischen Absatzmarkt und damit von harmonisierten Standards abhängig sind. Zudem nehmen europäische Unternehmen – wie erwähnt – nicht nur gegenüber dem Globalen Süden, sondern auch im Vergleich zu US-amerikanischen Konzeren eine dominante Rolle in bestehenden Normungsorganisationen ein. Strategien gegenüber China, die zu einem Bedeutungsverlust dieser Institutionen führen könnten, werden als Bedrohung europäischer Standardisierungsmacht begriffen.

Ausblick

Die Auseinandersetzungen um den skizzierten Bedeutungsgewinn Chinas in der internationalen Normung werden sich in Zukunft intensivieren. Technologiestandards werden weiterhin Schauplatz von ökonomischer und geopolitischer Rivalität bleiben.

Offen ist, ob und wie es China gelingt, seinen Einfluss in der Normung weiter auszubauen. Angesichts der jüngsten US-Wahlergebnisse scheint zudem unklar, ob und in welcher Form es zu einer Fortführung transatlan­tischer Einhegungsversuche kommt. Die politikwissenschaftliche Forschung im deutschsprachigen Raum sollte sich jedenfalls verstärkt der Analyse von Normungspraktiken zuwenden. Nicht nur konzep­tionell muss das Verständnis von Technologiestandards als Machtressource verfeinert werden. Auch fundierte empirische Analysen zu Chinas Normungspraktiken, vor allem im Globalen Süden, sind bisher rar. Diese könnten nicht nur dazu beitragen, den globalen Wettbewerb in der Normung besser zu verstehen. Es sind hieraus auch wichtige Einblicke in die Praktiken zu gewinnen, mit denen der chinesische Parteistaat versucht, seinen Einfluss in der internationalen politischen Ökonomie auszuweiten.



Literatur

Büthe, Tim/Mattli, Walter 2011: The new global rulers. The privatization of regulation in the world economy. Princeton/Oxford.

Eaton, Sarah/Fuchs, Daniel/Triolo, Paul 2022: The EU-US Trade and Technology Council reaches a crossroads. In: Internationale Politik Quarterly. https://ip-quarterly.com/en/eu-us-trade-and-technology-council-reaches-crossroads [Zugriff: 30.5.2023].

Fuchs, Daniel 2024: Technische Standards & globale Ungleichheit: Chinas Aufstieg zur Normungsweltmacht. In: Veit, Alex/Fuchs, Daniel (Hg.): Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung? Die ‚New International Economic Order‘ und die Zukunft der Süd-Nord-Beziehungen. Bielefeld, S. 275–298.

Fuchs, Daniel/Eaton, Sarah 2022: Diffusion of practice: The curious case of the Sino-German technical standardisation partnership. In: New Political Economy 27(6), S. 958–971.

Fuchs, Daniel/Eaton, Sarah 2024: Practice diffusion in China’s two-pronged engagement in global technical standardisation. In: China Information 38(2) S. 157–179.

Graz, Jean-Christophe/Nölke, Andreas (Hg.) 2007: Trans­national Private Governance and Its Limits. Abingdon, UK.

Rühlig, Tim 2022: Die neue technische Standardisierungsmacht China – eine Herausforderung für Europa. In: Freimuth, Joachim u. a. (Hg.): Normungs- und Standardisierungsstrategien in China und Indien. Im Spannungsfeld von Industrie- und Geopolitik und Implikationen für Europa. Wiesbaden, S. 461–483.

Weithmann, Sabrina 2017: The evolvement of standards in China. Insights from the electric vehicle sector. Baden-Baden.

Wood, Stepan 2012: The International Organization for Standardization. In: Reed, Darryl/Utting, Peter/Mukherjee-Reed, Ananaya (Hg.): ­Business Regulation and Non-State Actors: Whose ­Standards? Whose Development? Abingdon, UK, S. 81–94.

Yates, JoAnne/Murphy, Craig N. 2019: Engineering rules. Global standard setting since 1880. Baltimore.

ZK der KPCh – Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas/Staatsrat der Volksrepublik China 2021: 国家标准化发展纲要 (National Standardization Development Outline). https://www.gov.cn/zhengce/2021-10/10/content_5641727.htm