
Chinas Aufstieg zur Normungsweltmacht
Technologiestandards als Schauplatz geopolitischer Rivalität
Chinas Einfluss auf die internationale Normung von digitalen Technologien hat rasant zugenommen. Wie kann der Aufstieg des Landes zur Normungsweltmacht erklärt werden?
Und wie reagieren führende Akteure im Globalen Norden darauf?
Technische Standards, von Ladetechnologien für E-Autos bis hin zur Netzarchitektur der 5G-Mobilfunktechnologie, werden zunehmend von Unternehmen aus der Volksrepublik China entwickelt. Dieser wachsende Einfluss Chinas in der internationalen Normung hat den globalen Wettbewerb um Technologiestandards intensiviert. Denn die Aushandlung von Normen ist von Profitinteressen und geopolitischem Kalkül bestimmt: Wer die Standards für neue Technologien setzt, lenkt und kontrolliert die Entwicklung der entsprechenden Märkte.
Technische Standards als Machtressource
Technische Standards bzw. Normen sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Indem sie Anforderungen für Produkte, Dienstleistungen und Verfahren festlegen, dienen sie dem Ziel der Interoperabilität und Qualitätssicherung. International harmonisierte Standards ermöglichen es, Produkte und Technologien über Hersteller- und Ländergrenzen hinweg zu verbreiten und anzuwenden. Sie sind daher eine wesentliche Grundlage für transnationales wirtschaftliches Handeln und ökonomische Globalisierungsprozesse.
Ausverhandelt und festgelegt werden formale Standards in so genannten Normungsorganisationen (standards developing organization, SDO). Auf internationaler Ebene nehmen hierbei die 1947 gegründete Internationale Organisation für Normung (ISO) sowie die bereits 1906 etablierte Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) eine Führungsrolle ein. Daneben existiert eine Vielzahl an jüngeren Organisationen, wie etwa das in den 1990er Jahren gegründete und auf Mobilfunkstandards fokussierte 3rd Generation Partnership Project (3GPP). Gemein haben Normungsorganisationen, dass es sich in der Regel um nicht-staatliche Institutionen handelt, in denen vorwiegend Unternehmensvertreter:innen über die Normenentwicklung und -setzung entscheiden. Der Prozess der Normung ist demnach eine Form der „transnational private governance“ (Graz/Nölke 2007) – eine von privaten Akteuren dominierte Regulation der Weltwirtschaft.
Aus politikwissenschaftlicher Perspektive stellen technische Normen eine bedeutende ökonomische und politische Machtressource dar, sowohl für Unternehmen als auch in zwischenstaatlichen Beziehungen. Rühlig (2022) hat hierfür den Begriff der „technischen Standardisierungsmacht“ geprägt. Diese umfasst ihm zufolge vier Dimensionen:
In wirtschaftlicher Hinsicht relevant ist unter anderem, dass zahlreiche Standards auf patentierten Technologien basieren, für deren Nutzung Lizenzgebühren zu entrichten sind. Insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie kann dies eine bedeutende Einnahmequelle für Unternehmen…