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Der Rezensent

Alexander Reik forscht und ­promoviert an der Constructor University in Bremen zu den wirtschaft­lichen Außenbeziehungen Chinas.

Bücher zum Thema China - POLITIKUM 1/2025

Wenn es auch leichtfällt, sich China als einen monolithischen Block zu denken – und die Regierung in Peking hätte es sicher gerne, wenn es so wäre –, ist das Land trotzdem nicht reduzierbar auf die Entschlüsse seiner Politiker. Der naheliegende Kurzschluss leistet einem tiefen Unverständnis des wirklichen Geschehens Vorschub. Es ist wichtig, sich den Blick auf die und aus der Zentrale nicht zu sehr zu eigen zu machen und die Realität der verschachtelten und verteilten Machtzentren, der globalen Anbindungen und lokalen Verstrickungen, der Widersprüche von Plan und Chaos im Blick zu behalten. Das trifft auf das China der Vergangenheit ebenso zu wie auf das der Gegenwart und das einer im Entstehen begriffenen, datengetriebenen Zukunft, in der sich die Funktionsweise des chinesischen Systems vielleicht (wieder einmal) fundamental verändern wird. Zu einer solchen Perspektive beizutragen ist, bei aller Vielseitigkeit an inhaltlicher Themensetzung, Herangehensweise und Haltung, ein Ziel aller hier vorgestellten Bücher.


Ralf Ruckus: Der kommunistische Weg in den Kapitalismus, Berlin: Karl Dietz Verlag 2024, 300 Seiten

Ralf Ruckus rollt in „Der kommunistische Weg in den Kapitalismus“, einer überarbeiteten und aktualisierten Fassung seines vor einigen Jahren auf Englisch erschienenen Buches, die Geschichte der Volksrepublik China von unten auf. Hangelt sich die Masse der allgemeinen Darstellungen der letzten Jahrzehnte an den großen Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) wie Mao Zedong oder Deng Xiaoping, der von ihnen verfolgten wechselhaften Politik und den hierdurch erzeugten gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Verwerfungen entlang, dreht Ruckus den Spieß um. Er zieht den Wandel und die Verwerfungen als Erklärung für die Politikwechsel heran. Seine Kernthese ist dabei die doppelte Transformation Chinas zunächst hin zu einem sozialistischen System und dann in den Kapitalismus. Die Triebfeder dieses Prozesses bildet eine wiederkehrende Abfolge von sozialem Protest und dessen Einhegung. Dieser Protest nimmt etwa die Form von Streiks, Arbeitskämpfen und teilweise, etwa in der Kulturrevolution, offener Auflehnung an. Die Einhegung wiederum erfolgt durch Niederschlagung oder Reform, ein Prozess, der neue Widersprüche erzeugt, die wieder Grund für neuen Protest liefern.

Gegenstück der Herausarbeitung der historischen Brüche sind die Kontinuitäten der Herrschaft der KPCh. Für Ruckus sind das eine autoritäre Staatsorganisation und hierarchische Ordnung in den Betrieben, die Ausbeutung der Mehrarbeit (im Sozialismus wie im Kapitalismus), eine patriarchale Ordnung, die Frauen systematisch unterdrückt, sowie das Stadt-Land-Gefälle und der sogenannte hukou, d. h. der beinahe unabänderliche Meldestatus, von dem die meisten Sozialleistungen abhängen und der so die in die Städte abgewanderte ländliche Bevölkerung zu einem ungesicherten Prekariat degradiert. Der KPCh gelang es in…

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