
Allein oder zu zweit einsam?
Über Einsamkeit und Beziehungsformen
Interview mit Katja Kullmann
POLITIKUM: Frau Kullmann, 2022 haben Sie den Essay „Die singuläre Frau“ geschrieben, in dem es um Frauen geht, die nicht in einer Beziehung leben. Man habe dieser Alleinlebenden viele Namen gegeben: alte Jungfer, Egomanin und viele andere wenig schmeichelhafte Bezeichnungen. Sie aber schreiben: „Ich sage es gleich, ich bin ihr Fan“. Warum? Weswegen ist aus Ihrer Sicht das weibliche Alleinleben begrüßenswert?
Katja Kullmann: Zuerst einmal, ganz wichtig: Ich will das Alleinleben keinesfalls glorifizieren. Es ist nicht unbedingt die „bessere“ Daseinsform – aber eben auch nicht die „schlechtere“. Es geht mir also nicht um einen Wettstreit der Lebensweisen, sondern darum, das Alleinleben endlich einmal gründlich zu entskandalisieren. De facto ist es ja längst eine Normalität. In 42 Prozent aller hiesigen Haushalte lebt heute nur eine Person. Dennoch wird in den Medien und an Stammtischen oft noch immer so getan, als sei es etwas unfassbar Besonderes oder Bedauernswertes, wenn eine Person keine feste Partnerschaft unterhält. Quatsch!
Die Lebensweise im 21. Jahrhundert ist in in vielerlei Hinsicht eine andere als vor 100 oder 200 Jahren. Dazu hat übrigens der Kapitalismus mit seinem fortwährenden Flexibilisierungsdruck eine ganze Menge beigetragen. Aber auch verschiedene soziale und kulturelle Modernisierungen haben den Anstieg der Einpersonenhaushalte befördert. Viele Menschen finden das altbekannte Pärchenmodell nicht mehr so attraktiv, die enge Zweierzelle, die Ehe als Privatfirma.
Insbesondere heterosexuelle Frauen haben gute Gründe, sich sehr genau zu fragen, inwieweit sie sich heute noch darauf einlassen oder festlegen wollen – haben sie doch an den Generationen ihrer Vorgängerinnen gesehen, dass Frauen dabei allzu oft den Kürzeren ziehen und, vor allem wenn Kinder da sind, meist sehr viel unentlohnte, ungedankte Arbeit leisten müssen.
Knapp zehn Millionen alleinstehende Frauen gibt es aktuell in Deutschland. Viele haben sich freiwillig zum Solodasein entschlossen und genießen es. Andere hadern damit, wurden vielleicht verlassen, sind verwitwet oder tun sich auf dem sogenannten Partnerschaftsmarkt schwer. Manche sind sehr glücklich als Solistin, andere weniger, bei wieder anderen schwankt es. Aber so ist es ja auch in Beziehungen oder Ehen, von denen bekanntlich fast jede zweite in die Brüche geht. Ich selbst kenne beides aus eigener Erfahrung, das Gebunden- und das Solosein, und will anderen Frauen sagen: Lasst euch bloß keine Angst einjagen. Ihr seid nicht „schwierig“ oder „seltsam“, wenn ihr euch ohne feste Begleitung durchs Leben schlängelt. Im Gegenteil, ihr gehört zu einer kontinuierlich wachsenden Masse, seid ganz gewöhnliche Gegenwartsmenschen, es ist alles in Ordnung mit euch.
POLITIKUM: Unser Gespräch steht im Kontext des Themas „Einsamkeit“ – allein oder…
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